Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Nach dem Abschluss des Technikums wurde ich zur Arbeit ins Kreiszentrum Nowodogino im Gebiet Smolensk geschickt. Dieses Dorf liegt auch im Sumpf mit riesigen Wäldern. In der Nähe ist Sytschowka, wo Bulgakow seine ersten Werke geschrieben hat.
  2. Ich komme (also) in diesen Landkreis und bin kaum 18 Jahre alt. Mein Gehalt war 550 Rubel. Ich hatte keine (gute) Kleidung, das waren Klamotten, die von meiner Schwester auf mich übergegangen waren.
  3. Ich ging arbeiten, hatte keine Kleidung und es kam die erste Kälte. Ich erhielt das erste Gehalt. Ich erinnere mich jetzt, was ich damals kaufte: keine Kleidung, sondern eine Armbanduhr. Das war so eine Freude, alle fünf Minuten schaute ich, ob meine Uhr noch geht.
  4. Dann kam der Frost. (Und) ich möchte jetzt etwas über die zwischenmenschlichen Beziehungen sagen: Die Leute sahen, dass ich fast nichts an mir trage, obwohl es kalt war. Ich arbeitete als Ökonomin, ich hatte den Mittelschulabschluss.
  5. Da meine Vorgängerin keinen Abschluss hatte, wurde sie versetzt. Und es war eine Konfrontation, die Frau guckte mich schief an, als ich ihre Arbeit übernahm. Kurz gesagt, die Lage war da nicht einfach. Ich weinte sehr und litt darunter, dass ich weg (von Zuhause) war und meinen Bruder allein gelassen hatte.
  6. Damals hungerten wir sehr. Ich bekam Brot, aß es und musste an meinen Bruder denken, der nichts zu essen hatte. Ich war so traurig… Und plötzlich riefen die Frauen mich ins Geschäft. Sie sagten: „Galja, probier das an.“
  7. Sie gaben mir einen Kinderwintermantel, Filzstiefel mit Galoschen, eine Hose und eine Mütze – die ganze Garderobe. Sie sagten: „Das passt dir gut, das gehört dir. Wir haben Geld dafür gesammelt und du wirst uns monatlich 100 Rubel zurückzahlen. Dafür hast du warme Kleidung.“ So hat man mich eingekleidet.
  8. Als ich nach Nowodogino kam, ging ich ins Klubhaus, um zu sagen, dass ich auftreten kann. Zu meinem Glück war der künstlerische Leiter dort ein hervorragender Schauspieler aus Leningrad. Er hatte während des Krieges irgendetwas (Falsches) gesagt und zehn Jahre Lager bekommen. Er stammte aus dieser Gegend, sein Vater lebte noch und er kam zurück, Iwan Georgijewitsch Rudow.
  9. Das war mein Glück. Ich sagte ihm, ich würde vortragen und trug etwas vor. Er umarmte mich und sagte: „Gut, ich werde mit dir arbeiten.“ Und es lief so: Nach meiner Arbeit (ging ich hin)… Der Direktor da war ein großer Kerl namens Wassja, zwei Meter groß. Auf dem Weg zum Klubhaus befand sich eine riesige Pfütze, sie reichte mir bis hier.
  10. Ich rief ihn an: „Wassja, ich komme.“ Wassja trug Stiefel, hob mich hoch und brachte mich zu Iwan Georgijewitsch. Der übte mit mir „Maschenka“ ein, ich las Erzählungen und Gedichte vor. D.h., ich war seine Primadonna. Er begann mit mir zu arbeiten (und) brachte mir die Vortragskunst bei. Er war ein sehr guter Meister.