Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. In meinem Leben hatte das Jahr 1939 natürlich viel geringere Bedeutung als das Jahr 1941. Aber ich nahm den September 1939 sehr genau wahr genauso wie meine Schulfreunde. Der 1. September war der Geburtstag einer Mitschülerin und wir versammelten uns bei ihr. In diesem Moment wurde das alles bekanntgegeben und in Kiew gab es eine Verdunkelung. Uns war trotz unseres jungen Alters bewusst, dass dies den Kriegsbeginn bedeutete.
  2. Und das ungeachtet des Molotow-Ribbentrop-Paktes – wie er bei uns genannt wurde; in Deutschland sagt man ja Hitler-Stalin-Pakt. Natürlich beeinflusste dieses Ereignis unser Kinder- und Schulleben nicht so stark. Denn wir waren jung, meine Mitschüler nahmen damals am Krieg nicht teil. Wir führten weiterhin ein normales Leben, verfolgten das (die Geschehnisse) aber natürlich weiter.
  3. Man kann nicht behaupten, wir hätten nicht verstanden, was dieser Pakt bedeutete. Nicht nur ich als Tochter eines „Volksfeindes“, sondern auch meine Schulfreunde begriffen das. Übrigens erlaubten wir uns Einiges zu sagen, aber natürlich nicht im großen Kreis, sondern unter vier Augen oder höchstens zu dritt.
  4. Und 1941 – das war was. 1941 machte ich den Schulabschluss, am 20.6. hatten wir den Abschlussabend, wie es sich halt gehört. Am Sonntag, den 22. wurde ich ziemlich spät wach. Kiew wurde zwar bombardiert, aber eher der Stadtrand, und ich bekam nichts mit. Als ich raus ging auf die Straße, saßen da alte Frauen mit Gasmasken und sagten: „Echter Alarm.“
  5. Es war schwer zu verstehen, was das heißt. Für diesen Tag war die Eröffnung eines Stadions in Kiew geplant. Ich ging dahin, wo ich immer zu Mittag aß und wo meine Freundin wohnte. Sie und ich wollten (später) zur Eröffnung des Stadions gehen. Die Rundfunkansprache von Molotow hatte noch nicht stattgefunden…
  6. Dann bekam ein Wohnungsnachbar – er war mein Altersgenosse – den Gestellungsbefehl. Und danach hörten wir die Ansprache von Molotow. Die Eltern meiner Freundin sagten dann natürlich: „Von der Stadioneröffnung kann keine Rede mehr sein. Geht nicht dahin.“ Das war der Kriegsbeginn.
  7. Das faschistische Deutschland wurde als etwas äußerst Feindliches wahrgenommen. Jedenfalls ging ich in den ersten Kriegstagen ich trotz meiner antisowjetischen Ansichten – über meinen Vater wusste ich nichts und Mama war in der Verbannung – zum Kriegskommissariat.
  8. Der Leiter da sah sich (aber) das magere Mädchen an und sagte: „Mädchen, stör mich nicht. Geh, hier braucht dich keiner.“ So kam ich nicht zur Armee. Ich war klein und mager, nicht zu gebrauchen.