Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия

Boris Smekhov

Boris Moiseevich Smekhov wurde am 28. Dezember 1911 (nach dem alten julianischen Kalender, der in Russland bis 1918 galt) in der weißrussischen Stadt Gomel geboren. Als jüngstes Kind einer jüdischen Angestelltenfamilie wuchs er mit zwei Brüdern und einer Schwester auf. Nach dem Schulabschluss wurde Boris Smekhov aufgrund „fehlender Arbeiterherkunft“ zunächst nicht zum Studium der Architektur zugelassen. Er arbeitete als Bauarbeiter in Gomel und ging dann nach Birobidschan im russischen Fernen Osten. Birobidschan war 1928 als jüdisch-nationales Territorium in der Sowjetunion gegründet worden, 1934 erhielt es den Titel „Jüdisches Autonomes Gebiet“. Nach zwei Jahren als Traktorfahrer in Birobidschan kehrte Boris Smekhov nach Moskau zurück und wurde als Student an der Arbeiterfakultät des Planungsinstituts angenommen. Nach seinem Studienabschluss forderte ihn einer der berühmtesten sowjetischen Ökonomen, Stanislaw Gustawowitsch Strumilin (1877–1974), auf, bei ihm zu promovieren. 1940 schloss er seine Dissertation ab und erhielt die Stelle eines Abteilungsleiters bei Gosplan, dem 1921 gegründeten Komitee für die Wirtschaftsplanung der Sowjetunion, das die Fünfjahrespläne erarbeitete.
1938 heiratete Boris Smekhov Marija Schwarzburg (1918–1996); 1940 kam der Sohn Veniamin (Venja), 1947 die Tochter Galina (Galja) zur Welt. Veniamin Smekhov ist ein bekannter Schauspieler und Regisseur; er hat in vielen Filmen und Theaterstücken mitgewirkt und genießt bis heute große Popularität in der russischsprachigen Welt.
Nach Kriegsausbruch arbeitete Boris Smekhov zunächst weiter bei Gosplan in Moskau, während seine Familie evakuiert wurde. Im April 1942 wurde er mobilisiert und dem Stab der 1. Garde-Armee zugeteilt. Ende 1942 erkrankte er bei Stalingrad am sogenannten Schützengrabenfieber, einer bakteriellen Infektion, die schon während des Ersten Weltkrieges große Epidemien vor allem an der Westfront hervorgerufen hatte. Nach seiner Genesung wurde er dem Stab der 3. Garde-Armee in Spiwakowka zugeteilt. In den letzten Kriegsjahren hatte er Posten in der Erfassungsabteilung sowie in der Abteilung für Beutewaffen inne. Am 8. Mai 1945 wurde er mit seiner Einheit von Berlin nach Prag in Marsch gesetzt – bei einer Pause in einem Dorf erfuhren die Soldaten von der Unterzeichnung der Kapitulation. Statt nach Hause, wie erhofft, wurde er als Angehöriger der Besatzungstruppen nach Chemnitz geschickt.
Während eines Heimaturlaubs im Herbst 1945 wurde Boris Smekhov in Moskau von Gosplan angefordert. Dort arbeitete er in den nächsten Jahren in verschiedenen Positionen, u.a. als Redakteur wirtschaftspolitischer Zeitschriften. 1957 wurde er Abteilungsleiter im Institut für Arbeit; in der Ära Chruschtschow unterstützte er den Gosplan der Kasachischen Republik. Nach seiner Rückkehr aus Almaty habilitierte er sich mit einer Arbeit über „Die Planung der Anlagekosten“. Boris Smekhov wurde Professor am Lehrstuhl für Planung der Volkswirtschaft an der Plechanow-Hochschule. Aufgrund einer antisemitischen Kampagne musste er die Hochschule verlassen. Er wechselte in das Forschungsinstitut für Versorgung und wurde schließlich Professor am Wirtschaftsinstitut der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Er betreute zahlreiche Doktoranden, von denen viele später führende Positionen in der russischen Wirtschaft und Politik einnahmen, und veröffentlichte zahlreiche Studien, in denen er u.a. neue mathematische Modelle für die Optimierung der Volkswirtschaft entwickelte.
1990 übersiedelte die Tochter Galina mit ihrer Familie nach Aachen. 1991 folgten die Eltern, und aus dem Besuch wurde ein dauerhafter Aufenthalt. Trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen ist Herr Smekhov bis ins hohe Alter geistig aktiv geblieben. So verfasste er seine Autobiografie („Kol Nidre“) und weit über 100 Erzählungen, zeichnete und spielte Schach. Boris Smekhov ist am 8. Oktober 2010 in Aachen gestorben.
Anlässlich des 100. Geburtstags von Boris Smekhov wurde ein Smekhov-Hörsaal an der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität in Moskau eröffnet und ein Stipendium eingerichtet, das seinen Namen trägt.