Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия

Leonid Fish

Leonid (Leib) Fish wurde am 15. November 1923 in der polnischen Kleinstadt Oświęcim (Auschwitz) als viertes Kind einer armen, kinderreichen jüdischen Familie geboren; er hatte drei Brüder und drei Schwestern. Der Vater war Schneider, die Mutter Hausfrau. 1938 verließ Leonid die Schule und machte auf einem Gutshof eine Lehre als Anstreicher. Ein Jahr später, am 1. September 1939, begann der Zweite Weltkrieg, die Wehrmacht marschierte in Polen ein. Am 2. September – einem Samstag, den Leonid Fish immer bei seiner Familie verbrachte – wurde Oświęcim bombardiert. Die Familie beschloss daraufhin, nach Krakau zu flüchten. Der älteste Bruder Isaak, ein Zionist, war zur Zeit der Flucht nicht zu Hause. Später erfuhr die Familie, dass er von den Deutschen verhaftet und im KZ Auschwitz ermordet worden war.
Von Krakau floh die Familie weiter in das ostpolnische Lwow (Lemberg), das Ende September 1939 gemäß dem Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt von der Sowjetunion besetzt wurde. Kurz vor Lwow wurde auf die Familie ein Anschlag verübt, die Täter waren Angehörige der ukrainischen nationalistisch-antisemitischen Bandera-Bande. Das Haus, in dem die Familie übernachtete, wurde beschossen, der Bruder Schlomo starb, die Schwester Ella wurde am Fuß verletzt.
Von Lwow aus reisten der Vater und die ältere Schwester in die Industrieregion des Donbass (Donezbecken), wo Arbeitskräftemangel herrschte. Nachdem sie Arbeit in einer Nähfabrik in der Kleinstadt Krasnoarmejsk gefunden hatten, folgte der Rest der Familie nach. Leonid Fish lernte Russisch und machte eine Ausbildung als Dreher.
Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 musste die Familie erneut flüchten, diesmal nach Usbekistan in den Kolchos Bolschewik bei Jangikurgan (Kreis Nanamgan). Während der Evakuierung erkrankte der dritte Bruder Uscho-Schaja und starb. Auch Leonid Fish erkrankte schwer. Nach seiner Genesung meldete er sich 1942 freiwillig zur Roten Armee. Nach einer zweimonatigen Ausbildung wurde er der Infanterie zugeteilt und nach Stalingrad geschickt. Er nahm bis zur Niederlage der deutschen 6. Armee Anfang 1943 am Kampf um Stalingrad teil. Dort erhielt er seine erste Tapferkeitsmedaille, weitere folgten. U.a. kämpfte er in der Schlacht am Kursker Bogen und nahm an der Befreiung von Mogiljow im Juni 1944 teil. Am 26. April 1945 erreichte seine Einheit den Stadtrand von Berlin. Nach der deutschen Kapitulation blieb Leonid Fish noch über ein Jahr in Deutschland, Ende 1946 wurde er demobilisiert.
Leonid Fish kehrte nach Krasnoarmejsk zurück und heiratete 1947 seine Frau Gissja, eine Ärztin (gest. 1999). Bis zur Rente arbeitete er als Spediteur, zuletzt als stellvertretender Leiter eines Betriebs für Arbeiterversorgung.
1968 besuchte Leonid Fish seine Heimatstadt Oświęcim, fand dort aber keine Bekannten oder Familienangehörigen mehr. Im Jahr 2000 siedelte er nach Köln über, wo er bis heute (2012) lebt. Auch seine beiden Söhne wanderten nach Deutschland aus.