Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия

Vladimir Porudominski

Vladimir Porudominski wurde 1928 in Moskau geboren. Die Familie seines Vaters kam aus Wilna, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts als „litauisches Jerusalem“ galt; der Großvater arbeitete als Kürschner, die Onkel führten das Handwerk fort und bauten dort eine bekannte Pelzfabrik auf. Die Mutter entstammte einer Kaufmannsfamilie aus Sibirien.
Vladimirs Eltern studierten Medizin und waren Teilnehmer des Ersten Weltkrieges, an dessen Ende sie sich kennen lernten. Der Russischen Revolution standen beide zwiespältig gegenüber. Der Vater, der in Deutschland studiert hatte, wollte gerne dorthin zurückkehren. Eine Ausreise erwies sich aber als unmöglich. 1922 zogen die Eheleute nach Moskau, wo sie begannen, im sowjetischen Gesundheitssystem zu arbeiten.
Vladimir Porudominski wuchs, wie er erzählt, „unter dem Vorzeichen des Großen Terrors“ auf. Wie viele Kinder seiner Zeit erfuhr er von der stalinistischen Unterdrückung, lebte mit der Angst der Eltern und Erwachsenen vor Bespitzelung und Verhaftung, alltäglichen Verdächtigungen und der „Entlarvung“ angeblicher „Volksfeinde“ in der Schule. Seine Eltern bemühten sich, ihn in Distanz zum Regime zu erziehen, und setzten sich für eine breite Bildung des Kindes ein: „Ich war seitdem stets ein Bücher- und Museumsmensch.“
1940 marschierte die sowjetische Armee in Litauen ein. Nachdem Vilnius (Wilna) nun nicht mehr als „Ausland“ galt, sah Vladimirs Vater die Chance, seine Verwandten zu besuchen, die er seit Jahrzehnten nicht gesehen hatte. Durch einen Zufall musste die für Juni 1941 geplante Reise jedoch verschoben werden. Vladimir und sein Vater entgingen so der deutschen Besatzung und dem Schicksal ihrer Wilnaer Verwandten, die alle von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Nur eine Cousine konnte aus dem Wilnaer Ghetto flüchten und überleben – Herr Porudominski nennt sie seine „Schwester“.
Die Jahre 1941–1943 verbrachten Vladimir und seine Eltern in der Evakuierung in Nowosibirsk und Taschkent. Nach Moskau zurückgekehrt beendete er die Schule und nahm ein Journalistikstudium am Polygraphischen Institut auf. Von 1950–1952 leistete er Dienst beim Militär. Dabei lernte er während der Stationierung in Litauen auch die Heimat seiner Vorfahren und im Krieg umgekommenen Verwandten näher kennen.
Nach der Demobilisierung konnte Vladimir Porudominski wegen des herrschenden Antisemitismus zunächst keine Arbeit finden. Er war dann als Journalist und Redakteur für Verlage und Presseorgane tätig, bevor er sich seit den 1960er-Jahren der Literatur widmete und auf das Schreiben von Biografien konzentrierte. Herr Porudominski verfasste zahlreiche, beachtete Bücher über berühmte Literaten, Maler und Wissenschaftler. Im Beruf war er mit politischer Zensur und ideologischen Einschränkungen konfrontiert. Er schuf sich jedoch Nischen für seine Tätigkeit, bei Kulturveranstaltungen oder in Gesprächszirkeln mit befreundeten Künstlern und Wissenschaftlern.
Nach dem Ende der Sowjetunion ging Vladimir Porudominski aus Moskau fort, zusammen mit seiner Frau, einer Journalistin und Kinderbuchautorin. 1994 schloss sich das Ehepaar seinen beiden Töchtern an, die einige Jahre zuvor nach Deutschland ausgewandert waren. Neben dem Wunsch, den Kindern nah zu sein, waren enttäuschte Hoffnungen auf politische und gesellschaftliche Veränderungen, Umbrüche im Kultur- und Alltagsleben sowie der zunehmende Nationalismus und Antisemitismus Motive fürs Fortgehen.
Herr Porudominski wohnt in Köln. Am Leben der Jüdischen Gemeinde nimmt er sporadisch Teil, so an Treffen des „Literatursalons“, dessen Mitbegründer er ist. Am wichtigsten ist ihm weiterhin die schriftstellerische Tätigkeit. Neben biografischen Werken schreibt er Erzählungen und autobiografische Prosa.
Zwei Projekte der letzten Jahre hebt Herr Porudominski besonders hervor. So veröffentlichte er zunächst gemeinsam mit seiner Cousine die aus dem Ghetto geschmuggelten Aufzeichnungen seines Onkels Grigorij Schur, in denen dieser Leiden und Ermordung der Wilnaer Juden unter deutscher Besatzung festgehalten hat. Später publizierte Vladimir Porudominski eine Studie über Erwin Planck, der 1945 nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde. Dabei half ihm eine deutsche Freundin, die eine enge Gefährtin des Ehepaars Planck gewesen war. Das Buch über das Wilnaer Ghetto sei für ihn, wie Vladimir Porudominski sagt, eine innere Verpflichtung gegenüber der Familie und den Opfern des Holocaust gewesen. Mit dem Buch über Planck habe er Deutschland für sich entdeckt.