Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich rede mit Absicht über das alles, heute darf das nicht in Vergessenheit geraten. Heute will man es aber vergessen. Ich denke, das Leben eines Menschen ist Ausdruck für das Leben einer Generation, eines Staates und seiner Zeit. Deswegen: Ja, es gab viel Gutes, es gab die Kindheit, Bücher, Freunde und die Schule, wo es sogar sehr interessant war.
  2. Ich war ein guter Schüler und lernte gern. Die Lehrerin sagte uns aber: „Klebt das Porträt auf Seite soundso zu“, und wir taten es. Man sagte uns: „Streicht die Namen auf Seite soundso“, die Namen selbst sprach man dabei nicht aus. Und wir strichen sie aus.
  3. In unser Klassenzimmer kam (einmal) der Vater eines Mitschülers. Er war sehr jung, aber alle wurden damals alte Bolschewiken genannt. Sie waren bereits vor der Revolution Mitglieder der Bolschewiken-Partei gewesen. Dieser Mann himmelte das Land, die Partei und Lenin an. Er sagte zu uns: „Kinder, wisst ihr, wie Wladimir Iljitsch gestikulierte, als er redete?“ – „Ja, er machte so!“ – „Und wisst ihr, wie er die Hände hielt?“ Er war begeistert.
  4. Dieser Mann wurde dann verhaftet – ich habe auch darüber eine Erzählung geschrieben. Also, sein Sohn stand danach auf und sagte: „Mein Vater war ein Verräter und Feind.“ Er sagte sich vom Vater los, seine Mutter hatte ihn dazu gezwungen. Sonst wären sie verbannt worden. Das war schrecklich. Ich spürte das durchdringend. Das erregte in meiner Seele schwere Zweifel und Gedanken. Und das erregte in meiner Seele Angst, mit der ich im Allgemeinen in der Sowjetzeit lebte.