Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. (Es war) im Jahr 1949... Wissen Sie, das Radio bedeutete damals die Welt. Es gab wunderschöne Kinder- und Lyriksendungen und Hörstücke. Dieser schwarze Teller war für uns alles, Fernsehen usw. gab es ja noch nicht.
  2. Und ich hörte Walentina Alexejewna Popowa im Radio lesen. Sie las Gedichte aus den Kriegsjahren, u.a. „Soja Kosmodemjanskaja“. Sie las es so, dass ich inne hielt. Ich führte (damals) ein Tagebuch; später verbrannte ich meine Tagebücher, was mir jetzt sehr leidtut.
  3. Kaum hatte ich etwas in der Hand, machte ich meine Notizen. Und ich schrieb auf: „Mein Traum ist, so lesen zu können wie Walentina Popowa.“ Das Leben ging weiter, ich hatte bereits ein Kind, Kostja war etwa 12 Jahre alt.
  4. Ich arbeitete schon in der Bank, war Oberökonom für Geldverkehr. D.h., es war viele Jahre später, so um die 25. Ich war schon fast 40. Plötzlich sehe ich auf dem Weg zur Arbeit ein großes Plakat: „Sowjetische Lyrik liest die ‚Volksschauspielerin Russlands‘ Walentina Popowa.“
  5. Mir fiel ein, dass ich sie kenne, ihre Stimme gehört hatte. Ich rief den Philharmoniedirektor an: „Sagen Sie bitte, ist Walentina Popowa Schauspielerin des Theaters der Sowjetischen Armee?“ Sie sagten ja. Ich kaufte einen riesigen Blumenstrauß und ging zum Konzert. Sie war schon fast 60, sie las großartig.
  6. Ich überreichte ihr die Blumen auf dem Konzert und etwas später schellte ich an ihrer Garderobe. Sie sagte: „Kommen Sie herein.“ Ich trat hinein und sagte zuerst: „Walentina Alexejewna, ich kann nicht glauben, dass es wahr ist, dass ich Sie sehe. Ich habe mit neun Jahren geschrieben, dass es mein Traum ist, wie Walentina Popowa zu lesen.“
  7. Sie blickte mich mit großen Augen an – „Wirklich?“ –, umarmte mich leicht und fragte: „Hast du etwas Zeit?“ Ich sagte ja. „Dann begleite mich zum Hotel.“ Wir gingen zum Hotel im Zentrum, sie bestellte das Abendessen und lud mich ein. Danach sagte sie: „Weißt du… Liest du?“
  8. Ich sagte ja. „Dann lies mir das vor.“ Ich las und las ihr vor. Sie sagte: „Ja, du bist begnadet, du liest gut. Weißt du was, ich werde mit dir arbeiten.“ Ich fragte: „Aber wie?“ – „Das ist sehr einfach. Smolensk ist nicht weit weg von Moskau. Du kommst zu mir, ich sage dir wann. Und ich werde versuchen, jedes Jahr einige Tage in Smolensk aufzutreten.“
  9. Sie arbeitete damals in der Philharmonie und trat in der ganzen Sowjetunion auf. Also, sie wollte auch nach Smolensk kommen, sie hatte mehrere Programme. So begann ich Walentina Alexejewna zu besuchen, und sie machte die Meisterklasse mit mir.