Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ja, das war eine traurige Zeit. Eine traurige Zeit. Ich kann nur sagen: 1954 begann ich Gedichte zu schreiben, ab dem 1.1.1954. Und ich habe sie aufbewahrt. Im Buch gibt es eine Auswahl meiner Polarkreis-Gedichte. Ich werde sie jetzt nicht vortragen, Sie finden sie im Buch.
  2. Was soll ich Ihnen erzählen? Meine erste Arbeit war da sehr schwer – Lastenträger an der sogenannten Holzbörse. Da wurden alle Güter von der Breitspur auf die Schmalspur und umgekehrt geladen. Ich werde nur einige Episoden erwähnen. Wir luden einmal Kupfer- und Nickelplatten aus. Sie sind dünn, aber schwer und groß, etwa 80 x 60 Zentimeter.
  3. Ich halte die Hände verschränkt hinter dem Rücken, die anderen legen mir eine Platte auf. Ich komme ins Lager, stelle mich mit dem Rücken an die entsprechende Stelle und werfe die Platte ab. Und auf einmal spürte ich, dass sie viel schwerer wog.
  4. Ich sagte nichts und schleppte sie zur Stelle, ich schaffte es. Ich warf sie ab und sah, dass sie mir nicht eine, sondern zwei Platten aufgeladen hatten. Das war Antisemitismus in der Praxis. Sie wussten, wen sie so beluden. Es gab jedoch auch immer gute Leute.
  5. Sie halfen mir da wegzukommen, ich wurde in eine andere Arbeitsbrigade versetzt. Danach bediente ich die Seilwinde, mir wurde es beigebracht. Über das alles muss man viel und lange erzählen. Es war hart.
  6. Danach gab es einen Aufstand (1953)… Da starb Stalin, er hatte eine passende Zeit dafür ausgesucht. Wir verfolgten aufmerksam den Prozess gegen die jüdischen Ärzte. Wir wussten da alles. „Die Prawda“ vom 12. Januar lasen wir einen Tag später, am 13., in unserem Klubhaus.
  7. Wir waren darüber gut informiert, wer und wofür… Und wir beschlossen zu streiken, die Arbeit niederzulegen. Und die 20. Abteilung, wo ich war, schloss sich auch an. Der Aufstand begann in der Stadt – in der 4., 5. und 6. Abteilung. Die 6. war die Frauenabteilung.
  8. Sehr viele Leute wurden erschossen, geschossen wurde auf lebendige Menschen, wahllos. Später stellte man fest, dass die Leichen Einschusslöcher hinten auf dem Rücken hatten. Man schoss auf fliehende Menschen – nicht auf Angreifende, sondern auf Fliehende. Damals gab es über 100 Tote.
  9. Sehr viele Forderungen des Norilsker Aufstandes wurden später erfüllt. Aber nicht gleich und manche erst 20 bis 30 Jahre später.
  10. Die OSO, die Sonderkommission, wurde jedoch bereits sechs Monate später abgeschafft. Und alle von der OSO Verurteilten wurden freigelassen.