Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Meine Eltern: Ich habe noch nichts über meine Mutter gesagt. Sie war Waisenkind, wuchs ohne Vater auf. Sie war drei Jahre alt und die dritte Schwester, als ihr Vater starb. Und unter den damaligen Bedingungen, als die Frauen nicht arbeiteten…
  2. Man muss sich das klar machen, heute fällt es schwer zu verstehen, was das bedeutete. (Er) hinterließ eine junge Witwe mit drei Töchtern, und sie lebte mal in Owrutsch, mal in Chabnoje. Ihr verstorbener Mann stammte aus Owrutsch, der Vater meiner Mama.
  3. Er war Melamed, Lehrer im Cheder, in der jüdischen Grundschule. Sie arbeitete ab dem 12. Lebensjahr als Magd in einer reichen jüdischen Familie. Und danach kam sie zu ihrem Großvater mütterlicherseits. Er war ebenfalls Melamed, ein jüdischer Lehrer, der kein Wort Russisch konnte.
  4. Er war ein hoch angesehener Mensch, einer der höchstangesehenen im Ort. Das war ein Begriff: Enkel von Jankel Ber. Jankel Ber war mein Urgroßvater mütterlicherseits, er erzog meine Mutter, seine Enkelin. Er verheiratete sie, das war von großer Bedeutung. Er gab dem Bräutigam 200 Rubel, wie es sich damals gehörte.
  5. Das ist meine Mutter, eine sehr kluge Frau. Sie war ungebildet, denn wer hätte ihr eine Bildung geben können.
  6. Das Wichtigste für meinen Vater war, seine Familie zu ernähren. 1920, vor meiner Geburt, hatten sie schon drei Kinder – sie bekamen vier, eines starb. Drei Kinder. Man erzählt, er hätte sich in hundert Berufen versucht, um die Familie zu ernähren.
  7. Er war der einzige Arbeiter und Brotgeber, das Haus war an seinen älteren Bruder übergegangen. Ich wurde nach meinem Großvater genannt, dem Vater meines Vaters. Das ist üblich bei den Juden, man wird nach den verstorbenen Familienangehörigen genannt.
  8. Ich war klein und kann mich nicht an alles erinnern. Meine Eltern erzählten mir später: Als ich noch ohne Hosen krabbelte, krabbelte ich immer zum Haus des Großvaters, wir wohnten nicht weit. Als ich älter wurde und zwischen fünf und sieben Jahre alt war, ging ich täglich hin.
  9. Ich will sagen, das war eine Erziehung in der Großfamilie, die Verbindung zur Verwandtschaft. Und ich war öfters da. Desto größer war mein Schmerz, als die Deutschen die Schwester des Vaters mit ihren zwei Kindern erschossen.